Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute
Oper Dortmund (2025)
Uraufführung /Auftragswerk der Oper Dortmund
Nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jens Raschke
Komposition: Edzard Locher
Libretto: Daniel C. Schindler
In deutscher Sprache • Ab 12 Jahren
Musikalische Leitung: Olivia Lee-Gundermann (P), Koji Ishizaka
Musikalische Einstudierung: Thomas Hannig
Regie:Stephan Rumphorst
Bühne und Kostüme: Emine Güner
Dramaturgie: Dany Handschuh
Regiasssitenz: Christina Schmidt
Musiktheatervermittlung: Kristina Senne
Photos: Björn Hickmann
Erster / Das Murmeltiermädchen u. a. Wendy Krikken
Zweiter / Papa Pavian u. a. Cosima Büsing
Dritter / Der Bär u. a. Franz Schilling
Pressestimmen
„Die Junge Oper Dortmund präsentiert mit Was das Nashorn sah… eine moderne Fabel zu einem wichtigen zeithistorischen Thema. Ein absolut lohnendes Stück auch für Erwachsene, trotz der einen oder anderen Länge. (…) Erzählt wird die Geschichte eines Zoos, genauer gesagt eines Bären, der zuerst neugierig ist und dann zum Helden wird. Wie bei einer Fabel übernehmen Tiere hier die Rollen von Menschen. Der Bär als Held, ein Pavian als Mitläufer, ein Murmeltier als jemand, der einfach die Augen vor der Realität verschließt. Diese Realität ist eine ziemlich grausame, denn Raschkes Stück basiert auf wahren Begebenheiten: Die Geschichte geht auf das Konzentrationslager Buchenwald zurück, dessen Kommandant Karl Koch einen Zoo zur Freizeitgestaltung seiner Untergebenen errichtete – in Sichtweite des KZ und der Schornsteine, mit denen jüdische Mitbürger ausgelöscht wurden. Idylle und Hölle lagen hier direkt nebeneinander, ein immer noch schockierendes Faktum. (…) Wenn man die Konzentration von Kindern ab zwölf Jahren mit einem so reduzierten Setting zu fesseln gedenkt, muss man schon gute Protagonisten haben. Die hat man in Dortmund zweifellos. Krikken, Büsing und Schilling singen ausgezeichnet und spielen ebenso engagiert wie nachdrücklich. Ihre Botschaft kommt sehr eindrucksvoll herüber. Regisseur Stephan Rumphorst nutzt die von Emine Güner gestaltete realistische Bühne, um die Beziehung der Protagonisten zueinander und ihre Positionierung zu dem ominösen Schornstein zu verdeutlichen, der ihnen das Leben mit bestialischem Gestank schwer macht. Dabei gibt es nur wenige dramatische Ausbrüche, etwa wenn Cosima Büsing als Pavian aus dem Bühnensetting aus- und in das Revier des Schlagwerkers einbricht um ein furioses Solo hinzulegen. (…) Die Oper Dortmund stellt sich mit dieser Produktion im Umfeld des Gedenkens an die „Reichskristallnacht“ auch seiner eigenen Geschichte; denn am Ort des heutigen Gebäudes befand sich bis zu diesem Datum die Dortmunder Synagoge. Insgesamt ist mit Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute ein ebenso lehrreiches wie spannendes Stück gelungen, das musikalisch sehr konzentriert ist, aber auch ein paar Längen aufweist. Das junge wie reifere Premierenpublikum in Dortmund war begeistert.“
(Oper!)
„(Raschke A.d.R.), Locher und Schindler entwickeln aus der Fabel kein Zeitstück zur Geschichte der Grausamkeit im Nationalsozialismus. Sie schildern vielmehr in einer Parabel mögliche Reaktionen auf das Unsagbare: Wegschauen, Verdrängen, Verharmlosen, aber auch Courage, Wissensdurst, Entschlossenheit. Und sie entdecken im Verhalten der Zootiere die Angst, die in ihre Existenz hineinkriecht und den vermeintlich so geordneten und harmlosen Alltag vergiftet. Es sind Verhaltensweisen, wie sie Menschen an den Tag legen, die mit Unrecht, Unterdrückung, brutaler Gewalt konfrontiert werden. Schauen sie hin, fühlen sie mit, handeln sie? Oder machen sie die Augen zu, nehmen nichts wahr, ergeben sich ihrer Angst und ihren Ohnmachtsgefühlen? Da geht es um weit mehr als um Feigheit oder Zivilcourage.
(onlinemerker)
Der Oper gelingt es, ohne expliziten Geschichts- oder Politikbezug, aber auch ohne belehrenden Zeigefinger zu fragen, wie wir uns verhalten – in einer Situation, in der sich die Spaltung der Gesellschaft und der Einfluss menschenverachtender Ideologien immer deutlicher abzeichnet. Für die Schülerinnen und Schüler, die bei der Uraufführung im „Operntreff“ des Dortmunder Opernhauses dabei waren, könnte das Thema bis in ihren Schulalltag reichen: Wo entdecken sie Ausgrenzung, wo versteckte oder offene Gewalt, wo Mobbing? Und wie reagieren sie?
Die sensible Inszenierung von Stephan Rumphorst lässt die drei Tier-Darsteller mit ihrem nur halb verstehenden Blick auf das Lager der „Gestiefelten“ und der „Gestreiften“ die ganze Ratlosigkeit, Angst und Verdrängung ausdrücken, bis hin zu einer schmerzhaften, von einem Trommel-Exzess überdröhnten Panik-Attacke des Affen. Cosima Büsing, von Emine Güner mit rosa Wimpern und Gesäßtaschen behutsam als Pavian gekennzeichnet, spielt sich die Seele aus dem Leib, charakterisiert von schmeichelnder Kantilene bis zum schrillen Schrei die Seelenlagen ihrer Tierfigur.
Wendy Krikken reckt und streckt sich nach dem Winterschlaf in wohliger Ignoranz, auch wenn dem Murmeltier klar ist, dass „das Nashorn etwas gesehen hat“. Immerhin: Es nimmt sich vor, den gestorbenen Kumpel nie zu vergessen. Am Ende wird in einer Szene, die für Jens Raschke der Ausgangspunkt seines Stücks war, in einem poetischen Bild die Wahrheit über den Tod des Nashorns offenbart – in einer Schilderung, deren träumerische Magie über den Fabel-Realismus der Geschichte hinausreicht. Da ist der Bär (Franz Schilling, deutlich artikulierend und mit der Stimme gestaltend) schon mit jungenhaftem Elan aus seiner „Bärenburg“ ausgebrochen und Opfer seines Wissen-Wollens geworden.
Dass beschränkte Mittel starke Ergebnisse möglich machen, ist an der Musik von Edzard Locher abzulesen: Die atmosphärisch bedrückende, trostlos graue Bühne Emine Güners ist flankiert von zwei Schlagzeugbatterien, zwischen denen Sven Pollkötter hin und her eilt, um vom Vibraphon bis zum Gong Klangerzeuger jeglicher Machart zu bespielen. Charmant beginnt die Musik – unsichtbar von Olivia Lee-Gundermann dirigiert – mit melodischen Motiven, die jeweils einem Tier zugeordnet sind, sich aber im Verlauf des Stücks nicht als Leit- oder Charaktermotive vordrängen. (…) Im Nachgespräch nach der Uraufführung waren es junge Zuschauer, denen in der Musik die verdichtete, über das bloße Wort hinausführende Emotion auffiel.
Mit dieser Premiere einen Tag nach dem Gedenken an die Reichspogromnacht leistet die Junge Oper Dortmund einen eindrücklichen Beitrag zum Erinnern. Die Kunst spricht, wo die Zeitzeugen verstummen.“
„Das Wort Konzentrationslager fällt kein einziges Mal, nicht das Wort Vergasung, nicht das Wort Jude. Aber einmal ist da ein Junge mit gelbem Stern. Was das wohl bedeutet? Jedenfalls gehört er zu den „Gestreiften". Und die stehen eindeutig unter der Knute der „Ge-stiefelten"… Das ist der Blick, mit dem Jens Raschkes erfolgreiches Jugendstück arbeitet. Es ist (…) ein nahezu verständnisloser, einer, der sich einen Reim macht auf das bizarre Geschehen nebenan, wo es den einen sehr gut geht und den anderen miserabel. Wo Öfen stehen und ein gewaltiger Schornstein. Der Blick? Gehört sämtlich Tieren! (…) In Buchenwald bei Weimar gab es einen Zoologischen Garten. Die Tiere und jene NS-Verfolgten, die man schlechter behandelte als Tiere, waren direkte Nachbarn. Raschke hat daraus ein kleines Drama von dunkler Poesie gemacht. Und nun wagt Dortmund den Transfer zur Jugendoper. Eine Uraufführung.
Dazu hat Daniel Schindler eine schlanke, sehr schlüssige Textfassung erarbeitet. (…) Als Komponist der Oper gießt Edzard Locher seinen ganzen musikalischen Einfallsreichtum in eine einzige Orchestergruppe: Das Schlagwerk. (…) Und so nutzt er das Instrumentarium vom Tamtam bis zur Marimba, schlägt die Trommeln aggressiven Militärs und lässt die bauchige Pauke grollen. Da ist auch Klangraum für kleine Leitmotive der Zoobewohner, für den düsteren Zauber des Tiergartens, für ein filigranes Intermezzo zu nächtlicher Stunde. (…) Stephan Rumphorst Regie füllt diese 80 Minuten souverän. Keine Hysterie, keine Überspannung kein Schritt Richtung Putzigkeiten aus der Abteilung „Dschungelbuch". Er nutzt den Raum bis ins (bei der Premiere am Montag) mucksmäuschenstille Publikum hinein. Und er bringt trotz leiser Komik die Geschichte nie vom Weg der Unentrinnbarkeit ab.“
(WAZ)
„Harter Stoff für junge Leute (…) In der stimmigen Inszenierung von Stephan Rumphorst und unter der musikalischen Leitung von Olivia Lee-Gundermann spielt Franz Schillig den Bären (…) Verstärkt wird das intensiv-bedrückende Spiel des auch schauspielerisch talentierten Trios von dem Schlagwerker Sven Pollkötter (…)!
(Ruhrnachrichten)
"Raschke stellt in dem 2014 mit dem Deutschen Kindertheaterpreis ausgezeichneten Theaterstück Fragen hinein ins Hier und Jetzt, die jede und jeder für sich beantworten muss. Just diesen Fragen geht auch die Jugendoper nach, zu der Daniel C. Schindler aus Raschkes Schauspiel-Vorlage ein Opernlibretto destilliert und zu dem Edzard Locher seine Musik geschrieben hat.
Um es kurz zu machen: in welche Rolle würden wir Heutigen schlüpfen, welche Haltung einnehmen gegenüber einer brutalen Realität, verantwortet von einem unmenschlichen Regime? Wären wir Bär, der zunehmend Fragen stellt, verstehen will, was jenseits des Zaunes passiert und weshalb dort Schornsteine qualmen? Oder wären wir Pavian, der lieber wegschaut? Für Regisseur Stephan Rumphorst geht es „um Zivilcourage, Mut und Mitgefühl?. Und darum, in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spannungen klare Kante zu zeigen: gegen jede Form von Entmenschlichung und Hass - für ein menschliches Miteinander. Rumphorst schafft einen Zugang zur Thematik, der ohne Holzhammer auskommt dank des konzentrierten Librettos und dank einer Musik, die zwischen Freundlichkeit und Friedlichkeit einerseits, aggressiver Ausbrüche andererseits changiert: Musik, die Emotionen weckt und damit eine Dimension eröffnet, die über das gesprochene Wort hinausgeht. Wendy Krikken, Cosima Büsing und Franz Schilling sind die idealen Akteur:innen der gut 80minütigen Opernversion der Raschke-Vorlage. Gesungen und gespielt wird mit Leidenschaft und Überzeugung, dass man ihnen jeden Satz, jede Melodie all ihrer Rollen abnimmt. Edzard Lochers Musik verlangt „nur? Schlagwerk, entwickelt daraus ein farbiges Kaleidoskop an Klängen.
Die Junge Oper Dortmund empfiehlt diese Inszenierung Menschen ab 12 Jahren - was nun keineswegs heißen soll und kann, dass nicht auch Angehörige der mittelalten oder alten Generation eine Menge über die Geschichte, vor allem sich selbst erfahren können. Also: unbedingt hingehen!"
(theater:pur)
„Dann singen drei Leute – nur drei Leute – und ein Schlagwerker steht noch auf der Bühne. Und trotzdem klingt die Musik sehr vielseitig. Edzard Locher ist derjenige, der die Musik geschrieben hat und der hat auch im Blick gehabt, dass er sein junges Publikum nicht überfordert.“
„Die Oper Dortmund hat sich auch über das Drumherum viele Gedanken gemacht. Allein das Premierendatum heute, einen Tag nach der Reichspogromnacht – das ist natürlich bewusst gewählt. Und am Ende hat jeder Zuschauer noch einen weißen Stein gekriegt, da konnte er seine Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft aufschreiben. Da hat die Oper auch heute extra eine japanische Zierkirsche ins Artium der Oper gepflanzt, da kommen die Steine dann hin. (…) Und gerade in der heutigen Zeit, wo weltweit mehr Faschisten und Autokraten an die Macht kommen, da ist so eine Oper wie ‚Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute‘ umso wichtiger.“
(WDR3 Tonart)
„Lochers Musik schafft Stimmungen und stützt die Stimmen, die er meist wortfreundlich, in emotional hitzigen Situationen aber auch in extreme Höhen und Lautstärken führt. (…) Im Nachgespräch nach der Uraufführung waren es junge Zuschauer, denen in der Musik die verdichtete, über das bloße Wort hinausführende Emotion auffiel. (...) Mit dieser Premiere einen Tag nach dem Gedenken an die Reichspogromnacht leistet die Junge Oper Dortmund einen eindrücklichen Beitrag zum Erinnern. Die Kunst spricht, wo die Zeitzeugen verstummen. Und das an einem Ort in Dortmund, der mit den Schrecken der braunen Jahre eng verbunden ist: Das Opernhaus steht an der Stelle der 1938 von den Nazis abgerissenen Synagoge.“
(Revierpassagen)







