Eine Odyssee

Theater am Markt Eisenach (2025)

Freilichttheater im Schlosshof Eisenach

von Ad de Bont in der deutschen Übersetzung von Barbara Buri nach Homer

Regie: Stephan Rumphorst, Dramaturgie: Denise Hilsdorf, Bühne: Frank Thomas, Kostüm: Suse Raab, Maske: Felice Raab

Mit dem Ensemble ‚Theater am Markt‘, Eisenach

Photos: Sachsa Willms

Pressestimmen

„Das freie Theater am Markt präsentiert die Odyssee als ganz großes Spektakel. Emotion pur, aber es gibt auch viel zu lachen.

Das Sommertheater des Theaters am Markt ist zurück – und wie! Nach einem Jahr Pause hat sich der Hof des Stadtschlosses wieder in eine große Open-Air-Bühne verwandelt. (…) Mittwoch war die umjubelte Premiere. Und alle Fans von spielfreudigem, originellen Theater, tragischen Heldengeschichten und besonderer Kultur in Eisenach sollten sich das Ereignis nicht entgehen lassen. Während das Stadtschloss bisher als gediegener Rahmen-Hintergrund der TAM-Aufführungen sorgte, ist der Bühnenraum nun ein Kubus. Dessen vollständig weiß ausgekleidete Wände reichen fast bis ans Schlossdach hoch und schließen auch mit der Zuschauertribüne ab. Ein paar Podeste im Raum und etliche Türen – mehr Grundzutaten braucht das Bühnenbild nicht. Das erlaubt mit ein paar Tricks eine multifunktionale Nutzung. (…) Die karge, große Bühne wird so zum weiten, tosenden Meer, es gibt eine Pop-Up-Taverne, dann Szenerien im imaginären Palast, auf einer Insel, in einer Höhle und am lauschigen Flussufer, optisch und akustisch erzeugt nur mit Geräuschen und wenigen Requisiten. Ein bisschen Augsburger Puppenkiste: Das mit Folien erzeugte, tosende Meer, das dem Helden auf seinem Floß zusetzt, wirkt verblüffend echt. Damit haben Regisseur Stephan Rumphorst und das ganze, rund 50-köpfige (ehrenamtliche!) TAM-Team einen Raum geschaffen für eine der größten Geschichten der Menschheit. Sicher ist es hilfreich, wenn man mit Homers Odyssee vertraut ist, Voraussetzung ist es nicht.

Es geht um die über 20 Jahre dauernde Heimreise des Helden nach der Schlacht um Troja (ja, auch ein Holzpferd spielt mit). Auf dem Meer warten – dank zerstrittener Götter - schwerste Aufgaben auf Odysseus und seine Leute. Antinoos (Bernhard Mahr) berdängt Penelope (Diana Ißleib), ihn zu heiraten, damit er Odysseus‘ Herrscherthron übernehmen kann. Der Held Odysseus muss mit Monstern und Fabelwesen kämpfen. Da gibt es einäugige Zyklopen, verführerisch singende Sirenen, die böse Zauberin Circe, die Menschen in Schweine verwandelt, Götter wie den blitzschleudernden Zeus – im Stück tut er das überraschend tatsächlich -, den erzürnten Meereschef Poseidon und den sanftmütigen Götterbote Hermes; und natürlich Krieger wie Odysseus, der „Städtezerstörer“, der immer neue Listen ersinnt, um endlich heim zu kommen zu seiner geliebten Penelope. Die wartet all die Jahre auf ihn, bedrängt von machtgierigen Freiern, die Odysseus‘ Thron wollen. (…) All diese gewaltigen Ereignisse entfalten sich großartig im Eisenacher
Schlosshof; mal als kleine, schnelle Szene am Rande, mal als bühnenfüllender Auflauf, mal als Spiel im Spiel und immer mit den von oben herab kommentierenden Göttern, die gelegentlich auch herabsteigen und direkt mitmischen. Zeigt das TAM ein heldenverherrlichendes Epos? Eher nicht. Denn Rumphorst, Dramaturgin Denise Zilsdorf und das Ensemble betonen die oft weniger beachteten Seiten der Odyssee. Fast alle Figuren haben tiefe Sehnsucht: Nach Frau, Sohn, Papa, nach Macht, Liebe, Sex, nach Anerkennung, nach Krawall, nach Amüsement oder nach jemandem, zu dem sie aufschauen können. Also ein Schmachtfetzen? Nein, dazu gibt es im Stück TAM-typisch zu viel Komik und Slapstick, ohne der Gefahr nachzugeben, dass es zu platt und billig wird. Ja, es gibt viel zu Lachen und trotzdem wird es ganz am Ende extrem herzzerreißend, weil selbst ein Odysseus keine Chance hat gegen den Tod.

Erneut bemerkenswert ist die TAM-Besetzung: Alle 18 Darstellerinnen und Darsteller – etliche in Mehrfach-Rollen – wirken, als ob sie für genau diese Rolle gemacht seien. Tillmann Zänker ist mit seinen 25 Jahren ein sehr reifer Odysseus, Diana Ißleib verzehrt sich als Penelope ergreifend nach ihm und Yannick Seifert ist hin- und hergerissen als ihr Sohn Telemachos – alle hoch überzeugend. Doch auch alle anderen spielen grandios!“

(Thüringer Allgemeine)

"Eine abenteuerliche Heldenreise? Eine romantische Lovestory? Ein mythologisches Epos? Eine psychologische Dissertation? Eine unterhaltsame Komödie? Von allem etwas beinhaltet die Inszenierung von Stephan Rumphorst. Zur zehnten Auflage des Sommertheaters gibt es nicht nur eines der wichtigsten Literaturwerke, sondern es darf auch ein bisschen mehr sein: mehr Bühne, mehr Darsteller, mehr Klamauk. Nur Farbe gibt es weniger: Die riesige Bühne mit verhangenen Podesten als einzigem Inventar und die meisten Kostüme sind weiß; dazu nur wenige Farbtupfer. Der Ernst des Lebens also, das Drama, die Tiefe. Ja, davon gibt es reichlich. Einäugige Ungeheuer, die Menschen fressen. Singende Sirenen, die den Tod bringen. Einsame Göttinnen, die Mann für sich vereinnahmen. Eine Zauberin, die Besucher in Schweine verhandelt. Menschen, die sich wahlweise langweilen, lieben, hassen, begehren, bekämpfen, bewundern ... Und da ist die Sehnsucht von Odysseus nach Heimat und Familie, und anscheinend bei allen die Suche nach Sinn. Die von Ad de Bont erarbeitete Fassung der Odyssee vereint das fast 3000 Jahre alte Epos von Homer mit heutiger Alltagssprache. Im Mittelpunkt steht die letzte Etappe der Heimkehr des griechischen Helden Odysseus, immer wieder unterbrochen durch Rückblicke auf die bestandenen Abenteuer. Nach zehn Jahren Krieg um Troja und fast weiteren zehn Jahren Irrfahrt sehnt er sich nach der Heimat Ithaka, seiner Frau Penelope und dem gemeinsamen Sohn. Zwar sind ihm die Götter Athene und Hermes gewogen, aber wer sich Poseidon zum Feind gemacht hat und als attraktiver Mann Frauen betört, kann auch von ihnen nicht immer Hilfe erhalten. Und endlich in der Heimat angekommen, hört der Kampf nicht auf, denn Penelope wird von einem hartnäckigen Freier bedrängt, der selbst vor Mord nicht zurückschreckt.

Viel schwerer Stoff für einen Sommerabend, doch Rumphorst gleicht mit viel Komik aus. Teilweise reichen dafür Mimik und Gestik; witzige Requisiten und Kostümierung sorgen für zusätzliche Lacher, allein schon durch Kombis wie Springerstiefel mit Röckchen. Generell fasziniert es, wie mit einfachen Mitteln viel erreicht wird: aus den Podesten wird wahlweise der Fluss oder die Kneipe ausgeklappt, Plastikfolien symbolisieren das Meer, Luftballons werden zu Augen und Slips zu Schafköpfen, Poseidon trägt Anglerhose und Gummistiefel. Das ist oft genial, manchmal platt, eben für jeden im Publikum etwas. Zumal Rumphorst neben der „Effekthascherei“ auch die „innere Arbeit“ nicht vernachlässigt. Zwar ist der Laien-Status bei Spiel und Sprache schon erkennbar, aber es gibt beeindruckende Leistungen, insbesondere wenn Emotionen tiefgehend interpretiert werden. So ist Tillmann Zänkers Odysseus kein strahlender Held, sondern von Leid, Sehnen und Frust geprägt; er kennt Zweifel und Klage ebenso wie Hoffnung und Mut und hält allein durch seine Präsenz die Spannung. Auch Diana Schiffer als Penelope überzeugt mit ihrem Sehnen nach dem geliebten Mann, und am Ende bieten die beiden die berührendste Szene des Abends. Lydia Eisemann erfreut als launische Nymphin oder genervte Kellnerin, Yannick Seifferth strahlt als Sohn Telemachos jugendliches Selbstbewusstsein aus, Dieter Salzmann ist ein sympathischer Zeus. Und es ist auch wieder eine Ensemble-Leistung – der gemeinsame Geist ist spürbar, wobei offensichtlich die rund 40 Helfer und Helferinnen hinter der Bühne einbezogen sind.

Und dass es auch reichlich Gefühl in dieser Inszenierung gibt, dafür sorgt ebenso die griechisch angehauchte Musik-Auswahl. Der Unterhaltungswert steht zwar in der Inszenierung im Vordergrund, aber es darf auch manch Denkanstoß mitgenommen werden. Über Männer und Frauen. Über verkaufte Seelen und endlose Kämpfe. Über Sätze wie „Menschen sind unberechenbar, damit muss man rechnen“ oder „Bei den Göttern läuft es nicht anders als bei uns“. Ja, auch das ist ein Fazit: Die Götter haben ebenso ihre Schwächen und Gelüste, ob nun nach Götterspeise oder Erotik; sie kennen Lüge und Hass ebenso wie Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Rettung ist von ihnen jedenfalls nur bedingt zu bekommen – da muss Mensch schon selbst ran und sein Schicksal bestimmen."

(Freies Wort / In Südthüringen)