Geschlossene Gesellschaft

Studio Bühne Essen (2024)

Schauspiel von Jean-Paul Sartre
in der Neuübersetzung von Traugott König

Premiere: 9. März 2024

Mit Sandra Busch, Sina Hentschel, Lea Krämer
und Richard Wilke

Regie & Bühne: Stephan Rumphorst

Kostüme: Anke Kortmann

Photos: Heiko Salmon (1-4), Frank Vinken (5-25)

Karten gibt es hier

Pressestimmen

„Beklemmend dicht: Sartre-Abend in der Studio-Bühne Essen (…) Der Klassiker ‚Geschlossene Gesellschaft‘ hat im Krayer Theater Premiere und wird vom Publikum mit stehenden Ovationen gefeiert. Mit Jean-Paul Sartres Einakter „Geschlossene Gesellschaft“ von 1944 hat sich die Krayer Studio-Bühne einen Klassiker der existenzialistischen Literatur vorgenommen. Ein düsteres Stück über das Zusammenleben auf engstem Raum. Doch den schweren Stoff setzt das ambitionierte Ensemble beeindruckend um: Chapeau für die beklemmend dichte Inszenierung.

Gut 90 Minuten blickt das Publikum in eine gar zu menschliche Hölle. Drei Verstorbene in einem Raum, eingesperrt auf immer und ewig, ringen heftig um und gegeneinander. Betten, Zahnbürsten und Spiegel gibt es nicht, aber Erotik und Gefühle sind nach wie vor wichtig in Sartres Ort der Verdammnis. Die kommt ohne Fegefeuer, Folterknechte und ewiges Martyrium aus. Denn, so lautet die zentrale Aussage des Dramas: ‚Die Hölle, das sind die anderen.‘ Düster beginnt die Inszenierung von Stephan Rumphorst mit dunklen Klaviertönen. (…) Fesselnd ohne Pause erfährt das Publikum, warum die drei nicht etwa im Himmel gelandet sind. Abgründe tun sich auf, und die drei Charaktere müssen bitter erkennen, dass sie sich gegenseitig Folterknechte sind. Emotionen wie Angst, Trauer, Verzweiflung, Wut und Zuneigung – das Stück ist ein Auf und Ab der Gefühle – spielen die ambitionierten Laien mimisch ausdrucksstark. Mit Klaviertönen endet das Drama ‚Geschlossene Gesellschaft‘ – von reichlich Applaus und stehende Ovationen des Publikums gewürdigt.“

(WAZ)

„Wenn die Kirchenglocke verstummt (…) Ausschließlich Laiendarsteller bilden das Ensemble der Studio-Bühne Essen. Stephan Rumphorsts Inszenierung der „Geschlossenen Gesellschaft“ beweist wieder einmal: Unter einem fähigen professionellen Regisseur sind diese zu Leistungen fähig, die sich vor keinem Stadttheater verstecken müssen. (…)

Und doch ist der Raum nicht die düsterste Erfahrung, die die drei Protagonisten machen müssen, die nach und nach von dem merkwürdigen, grün bejoppten „Wesen“ hereingeführt werden. Das schließt zügig hinter sich die Türe: Lea Krämer spielt das beklemmend; ein undefinierbares, wenig vertrauenerweckendes Lächeln spielt um die Lippen des trotz langer brauner Locken androgyn wirkenden „Wesens“. Ab und zu hört man sie draußen lachen, höhnisch vielleicht, amüsiert angesichts der Naivität der neuen Schützlinge. Sie sollen es hören, die drei, denn die gemütliche Dunkelkammer ist kein Wohlfühlparadies. (…)

Da ist als erstes Richard Wilke als Joseph Garcin. Er überragt die beiden anderen um Haupteslänge – und sinkt doch immer wieder angsterfüllt in sich zusammen. Der brasilianische Journalist und Regimekritiker, vom Lebenslauf her eigentlich die interessanteste Figur der Eingeschlossenen, hat sich sein kurzes Leben lang mit zahlreichen Frauen vergnügt, seine eigene jedoch mit Wonne erniedrigt und gedemütigt. Illusionen hat er sich sowohl über seine politische Rolle als auch über die als Ehemann gemacht. Nun ist er nur noch darauf bedacht, nicht als Feigling zu gelten - und kriegt gleich die volle Breitseite von der zweiten Insassin dieses Post-Mortem-Knasts: „Belästigen Sie mich nicht mit Ihrer Angst“, raunzt Inès ihn an: „Angst konnten wir vorher haben, als es noch Hoffnung gab“.

Inès – einen merkwürdigen Charakter hat Sartre da geschaffen, sicher nicht ohne ideologischen Hintergedanken. Postangestellte ist sie – und die Intellektuellste der drei. Sandra Busch ist rein optisch die kleinste der Schauspielerinnen – aber von ganz weit oben herab blickt sie auf Garcin hinunter, den Jammerlappen und Deserteur, dem sie erbarmungslos seine Unterlegenheit als Mann und als Intellektueller vermittelt. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Auch Richard Wilke barmt nicht den Tränen nahe herum. Sartres intellektuelles Thesenstück wird – zumindest vorerst – intellektuell, sprich: in gefasster Stimmung gespielt. Sandra Buschs Inès aber ist eine Wucht. Sie gibt die starke Frau, unabhängig, klar im Denken, unwillig, in soziale Kontakte zu treten. Distanziert, misstrauisch, ohne jedes Bemühen um Höflichkeit. Jedenfalls solange sie nur den Knaben Garcin als potentiellen Gespielen hat.

Dann aber wird Estelle hereingeführt: Estelle – naiv, blond, ein bisschen kapriziös. Auf Schwarz will sie nicht sitzen, das Rouge wird aufgelegt, der Lippenstift nachgezogen. Sie ist zwar tot, aber braucht offenbar die Schönheit fürs Selbstwertgefühl. Sina Hentschel gibt die männermordende Frau mit großartiger Mimik ganz gegen ihren Typ, und ganz gegen ihren Willen zieht sie nicht die erotische Aufmerksamkeit des Garcin an, sondern die von Inès. Die kann auf einmal zuckersüß lächeln. Inès ist lesbisch – und wenn sich Garcin Estelle doch einmal auch körperlich nähert, so nicht aus erotischem Interesse, sondern um Inès zu provozieren. (…) Hentschels gut gelaunte, sich lange gelassen gebende Estelle dagegen hat ihr Kind getötet, das ihren Beziehungen im Wege stand. Da sie auf ihren guten Ruf achten musste, hat auch Roger, der Zeuge dieser Tat, das Geschehen nicht überlebt…
Nach dem Tod zieht Estelles angebliche Verführungskraft nicht mehr – und die von Inès dem eigenen Geschlecht gegenüber auch nicht. Aber Schadenfreude, Eifersucht und erotische Gelüste gibt es nach wie vor – sowohl untereinander als auch mit Blick auf die Nachwelt. Durch ein schmiedeeisernes Tor können die Insassinnen zurück in die Welt der Lebenden schauen. Auch die mangelnde Fähigkeit, sich vom Geschehen in der Welt der Lebenden zu lösen, wird so zur Hölle für die drei (zumindest für die beiden Damen). Mehr noch aber werden sie einander zu Folterknechten und -mägden – drei höchst lebendig erscheinende Tote, die einander sowohl als Peiniger als auch als Opfer ausgeliefert sind. Am eindrucksvollsten verkörpert das Sandra Busch, aber auch die übrigen vermögen eine höchst beklemmende Stimmung zu verbreiten.

Ein wenig lang gerät am Ende die Diskussion über die Angst des Garcin, als Feigling zu gelten – dass seine Resilienz nicht allzu ausgeprägt ist, zeigt Richard Wilke ja von Beginn an deutlich. Die Auseinandersetzung wird laut und emotional; die Figuren verlieren nun ihre Fassung. Auf diese Weise will die Regie wohl die Eskalation der Situation vorführen: L’enfer, c’est les autres. In der Enge des Raums benötigen die Herren der Finsternis keine eigenen Folterknechte mehr – die Eingeschlossenen erledigen das höchst effizient selbst. Ob die Lautstärke dazu erforderlich ist? Dem Schreiber dieser Zeilen hätte die Fortsetzung des leisen, subtilen Horrors mehr eingeleuchtet – aber das ist zugegebenermaßen Geschmackssache.“

(theater:pur / Dietmar Zimmermann)

"Drei wunderbare Laienschauspieler zeigen an einem der besten deutschen Amateurtheater drei völlig unterschiedliche Menschentypen, die miteinander eingeschlossen sind und sich bald mächtig auf den Keks gehen. Ohne körperliche Gewalt anzuwenden, werden sie einander zu Folterknechten und -mägden - drei höchst lebendige Tote, die einander sowohl Peiniger als auch Opfer sind. Der Herr der Finsternis benötigt keine eigenen Quälgeister mehr - die Eingeschlossenen erledigen den Job höchst effizient selbst. Zu Beginn hatte die Notklingel noch wie eine Kirchenglocke gebimmelt. Da war die Hölle noch ein halbwegs wohnlicher schwarzer Saal, und es mag noch Hoffnung auf Erlösung durch Gott gegeben haben. Nachdem die anderen eingetroffen sind, erklingen keine Kirchenglocken mehr. Die anderen erst funktionieren den Raum zur Hölle um."

(theatermail_nrw)